Die Prognosen der Buchmacher spiegeln traditionell die Meinung der
eingefleischten Fans in der Bubble wider, in der man alle Beiträge schon im März
kennt und auch den Geschmack der internationalen Jurys gut einzuschätzen weiß.
Dass „Wasted Love“ bei den Jurys auf Platz eins landete, war auch so
vorhergesehen worden, auch die weitere Reihung der Kandidaten entsprach
weitgehend den Prognosen. Außergewöhnlich uneins waren sich die Expertinnen und
Experten heuer aber, was die Zwölfpunktevergabe anging: 13 verschiedene Länder
konnten sich über mindestens eine Höchstwertung freuen.
Auch das ist ein Indiz dafür, dass die musikalische Qualität heuer – selbst für
Song-Contest-Verhältnisse – eher überschaubar war. Sehr schiefe Töne waren heuer
ebenfalls vermehrt zu hören.
Wie JJ punkten konnte
Mit JJs Sieg zeigte sich auch wie jedes Jahr, dass Mut belohnt wird. Nur wer
einen Beitrag schickt, der sich deutlich von anderen abhebt, hat überhaupt eine
Chance – auch auf die Gefahr hin, zu polarisieren. „Wasted Love“ ist in dieser
Hinsicht kein einfacher Song, und dennoch war die Nummer stark genug, dass eine
goldene Regel des Song Contest gebrochen wurde, nämlich dass Beiträge, die sich
tendenziell ähneln, zweimal hintereinander nicht gewinnen. Und „The Code“ von
Nemo war zumindest ebenfalls komplex und von einer hohen Männerstimme getragen.
JJs gesangliche Leistung war wohl der Grundstein zum Sieg, mit Handwerk lässt
sich aber nur bei den Fachjurys punkten. Für das TV-Publikum zählt auch Emotion,
und das wurde von Österreich perfekt auf die Bühne gesetzt: mit dem
Alleinstellungsmerkmal einer Schwarz-Weiß-Inszenierung, die sich deutlich vom
optischen Überangebot bei anderen Acts abhob.
Publikum unberechenbarer
Der spannende und unkalkulierbare Faktor war das Publikum. Das Gros der
TV-Zuschauerinnen und Zuschauer sieht die Songs erst bei den Shows, viele davon
verfolgen überhaupt nur das Finale. Um zu punkten, muss ein Song also beim
ersten Hören überzeugen und aus dem mehrstündigen Ablauf hervorstechen.
